Gewinner 2020

ALS HITLER DAS ROSA KANINCHEN STAHL von Caroline Link

Die CLIO wird von »moving history – Festival des historischen Films e.V.« an den besten historischen Film des Jahres verliehen und geht 2020 an Caroline Link für ihren Spielfilm ALS HITLER DAS ROSA KANINCHEN STAHL (D/CH 2019).

Die Verfolgung der europäischen Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus war im Film und Fernsehen der Nachkriegszeit zunächst allenfalls ein randständiges Thema. Mit der zunehmenden Konjunktur seit den  1970er Jahren ging dann allerdings auch ein Prozess einher, den man als Ikonisierung und Stereotypisierung charakterisieren könnte: Jeder kennt die dokumentarischen und inszenierten Bilder von Massenaufmärschen, fanatischen Nazis, marodierenden SA-Trupps und psychopathisch überzeichneten SS-Männern – ganz zu schweigen von den verbreiteten „Ikonen der Vernichtung“ (Cornelia Brink) wie etwa dem Tor von Auschwitz. Diese Bilder sind heute häufig Teil von Überwältigungsdramaturgien, die kaum Raum für eine reflexive Auseinandersetzung mit Geschichte lassen.

Nichts davon findet sich in Caroline Links Verfilmung von Judith Kerrs autobiographischem Roman ALS HITLER DAS ROSA KANINCHEN STAHL. Stattdessen sehen wir vor allem zu Anfang Bilder wie aus einer Urlaubsidylle, und die Verleiher von Nazi-Uniformen haben an diesem Film garantiert keinen Cent verdient. All das, was in der visuellen Erinnerungskultur von heute die Zeit des Nationalsozialismus ausmacht, fehlt. Damit einher geht die Abwesenheit von emotionaler Überwältigung. Unrecht und Gefahr, Verfolgung und Angst bestimmen stets die Realität der Familie, aber sie bleiben mehr oder minder latent, was sie eher noch wirkungsvoller macht, und sie werden zudem durch die kindliche Perspektive gebrochen.

Letztere ist auch dafür verantwortlich, dass ALS HITLER DAS ROSA KANINCHEN STAHL ein Familienfilm im besten Sinne ist, nämlich ein Film für Erwachsene und Kinder, der sich trotzdem nicht in Harmlosigkeit verliert. Vielmehr leistet er historische Aufklärung gerade auch für Kinder und Jugendliche. Was Flucht und Exil bedeuten, der Verlust von Zugehörigkeit, Sicherheit und Unbeschwertheit, wird hier auch für jene greifbar, für die Politik und Geschichte noch eher abstrakte Größen sind. Geschichte wird so nahbar: Sie erscheint viel weniger als abgeschlossene, „dunkle“ Vergangenheit einer überwundenen Epoche, denn als Normalität, die jeden treffen kann und die für Flüchtlinge auch in der Gegenwart bittere Realität ist.

Überzeugt hat die Jury nicht nur, wie stimmig all dies auf ästhetischer und dramaturgischer Ebene umgesetzt ist. Beeindruckt hat uns auch der Mut, sich bei diesem schwierigen Thema den etablierten diskursiven Mustern und damit eben auch dem Mainstream gesellschaftlicher Erwartungen und Vermarktungslogiken zu entziehen.

Die Laudatorin
Susan Neiman

Die Jury
setzt sich aus den Mitgliedern des »moving history – Festival des historischen Films Potsdam e.V.« zusammen: Der Festivalleiterin Ilka Brombach, den Vorstandsmitgliedern Christoph Classen, Claudia Lenssen, Felix Moeller, Sachiko Schmidt und Chris Wahl.

Produktionsdaten

Uraufführung

08.12.2019

Laufzeit

119 Min.

Regie

Caroline Link

Produktion

Jochen Laube, Fabian Maubach, Clementina Hegewisch | Sommerhaus Filmproduktion GmbH

Darsteller*innen

Riva Krymalowski, Marinus Hohmann, Carla Juri, Oliver Masucci, Justus von Dohnányi, Ursula Werner, Anne Bennent, Benjamin Sadler, André Szymanski, Anne Schäfer

Drehbuch

Caroline Link, Anna Brüggemann

Kamera

Bella Halben

Schnitt

Patricia Rommel

Musik

Hauschka