Gewinnerfilm 2017

DIE BLUMEN VON GESTERN | Chris Kraus

Begründung der Jury:

Unser Festivalpreis soll Filme auszeichnen, »die sich auf besondere Weise mit einem historischen Thema befassen«. Das kann bedeuten, dass ein besonders heikles Thema behandelt wird oder ein bisher unterbelichtetes. Ein Film kann auch bereits Bekanntes auf neue Art präsentieren und dabei möglicherweise die Grenzen historischer Repräsentation verschieben.

Chris Kraus’ Film DIE BLUMEN VON GESTERN erfüllt bemerkenswert viele dieser Kriterien, selbst dann, wenn sie sich auf den ersten Blick auszuschließen scheinen.  Zunächst einmal tangiert er mit dem Holocaust ein heikles Thema, wenngleich schon lange kein unterbelichtetes mehr. Zugleich geht es aber nicht eigentlich um den Völkermord an den Juden, sondern um das, was gemeinhin dessen »Bewältigung«  genannt wird, was sich aber – daran lässt der Plot keinen Zweifel – gerade nicht »bewältigen« lässt. Dies ist ein schon seltener behandeltes Thema, jedenfalls im Spielfilm. Schließlich sprengt der Film auch die Darstellungskonventionen: Während NS-Themen in Deutschland lange nur als Tragödie denkbar waren (schon weil das die Schuld relativiert), hat Chris Kraus hier eine Komödie inszeniert, der anarchischer Humor und Slapstick nicht fremd sind.

Soviel Unkonventionalität polarisiert, ein Umstand, der sich an den Kritiken deutlich ablesen lässt. Zwischen Begeisterung und Verdammung gab es da eher wenig. Die Kontroversen um den Film reichen auch bis in unsere Jury, das sei an dieser Stelle nicht verschwiegen.

Wenn wir trotzdem mehrheitlich der Meinung sind, dass DIE BLUMEN VON GESTERN aus dem Feld der aktuellen Geschichtsfilme herausragt, dann weil dieser Film dazu beitragen kann, unseren Umgang mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts kritisch zu reflektieren. Nicht ohne Seitenhiebe auf den deutschen Aufarbeitungsbetrieb präsentiert dieses Porträt zweier traumatisierter Vertreter der Enkelgeneration des Nationalsozialismus keine wohlfeile Moral, kein selbstgerechtes Happy Ending einer geglückten Aufarbeitung und auch kein schlichtes  Opfer-Täter-Pathos. Vielmehr kann man es als Plädoyer dafür lesen, Geschichte in ihrer Ambivalenz und Unabgeschlossenheit auszuhalten. Wir können der Präsenz der Vergangenheit nicht entgehen. Aber das heißt nicht, dass man in ihr gefangen bleiben muss.

Regie | Drehbuch
Chris Kraus
Produktion
Danny Krausz
Kathrin Lemme
Koproduzenten
Chris Kraus
Gerd Huber
Kurt Stocker
Darsteller
Lars Eidinger
Adèle Haenel
Jan Josef Liefers
Hannah Herzsprung
Kamera
Sonja Rom
Schnitt
Brigitta Tauchner
Musik
Annette Focks

 

Laudatio
zur Verleihung der Clio 2017
von Per Leo zum Nachlesen auf
zeitgeschichte-online.de